Tagungsbericht von Ursula Zierlinger zur Fortbildungsveranstaltung „Geschichten im Film. Wie Filme heute erzählen – Impulse für den Deutschunterricht“ des Landesverbandes Hessen im Fachverband Deutsch im DGV, der Goethe-Universität Frankfurt am Main und des Instituts für Jugendbuchforschung vom 22. Februar 2018
Verfilmungen literarischer Vorlagen werden schon lange im Deutschunterricht eingesetzt, um die literarische Vorlage mit der medialen Umsetzung zu vergleichen, häufig verbunden mit einer negativen Wertung des Films. Der Film selbst, der einen literaturunabhängigen Eigenwert hat, steht jedoch kaum im Mittelpunkt der didaktischen und methodischen Aufbereitung.
Diese Eigenständigkeit des Mediums Film rückte Anna Stemmann (M.A./M.Ed. Goethe-Universität Frankfurt am Main) in den Mittelpunkt ihres Vortrags „Road Trips, Großstadtdschungel, Pampa – aktuelle Jugendromane filmisch ins Bild gesetzt“. Am Beispiel der Verfilmungen dieser Romane demonstrierte die Referentin, wie die inhaltliche Brisanz der Übergangsphase in das Erwachsenenalter mit den semiotischen Mitteln des Films ganz anders umgesetzt werden könne als im schriftlichen Erzählen: optische und akustische Zeichen, Musik, Topographie des Raums, Licht, Farbe, Dialoge – diese Erzählstrukturen des Films generieren eine Transformation in ein medieneigenes Verständnis der Vorlage, eine zusätzliche Bedeutungsebene, eine Metaebene.
Der zweite Vortrag von Prof. Dr. Sascha Feuchert (Justus-Liebig-Universität, Gießen) nahm sich eines brisanten Themas an: „Geschichte erzählen – Holocaust light? Der Junge im gestreiften Pyjama als Thema für den Deutschunterricht“. Der Roman, ebenso erfolgreich wie umstritten, wurde genauso erfolgreich und umstritten verfilmt. Literarisches Lernen lasse sich aber gerade am Beispiel dieses Buches didaktisch entwickeln, denn die vielfach kritisierte „märchenhafte“ Struktur – Holocaust light – sei klar als bewusste Konstruktion nachweisbar. Die deutlichen Leerstellen solle der Leser auffüllen. Im Unterricht müsse der historische Kontext erarbeitet werden. Der Film jedoch historisiere gerade durch den Einsatz medienspezifischer Mittel, suggeriere damit Realität. Reflexion und/oder Lernen über Auschwitz werden aber gerade deshalb nicht in Gang gesetzt. Gleichwohl könne im Vergleich literarisches und mediales Lernen fruchtbar gemacht werden.
Abschließend demonstrierte Prof. Dr. Klaus Maiwald (Universität Augsburg), wie im Film, dem Medium des bewegten Bildes, erzählt werden kann: „Schriftsprachliches und filmisches Erzählen – am Beispiel von Die Entdeckung der Currywurst“. Im Vergleich mit der Verfilmung des Romans von Uwe Timm charakterisierte er die Mediendifferenzen. Sei es dem Erzähler möglich, auf der sprachlichen Ebene symbolisch-abstrakt, ambivalent und inhaltlich mit mehreren Erzählebenen zu arbeiten, so könne der Film nur etwas zeigen, mit auditiven Mitteln und Collagetechniken auch etwas schildern. Die komplexe schriftsprachliche Wirklichkeit des Romans müsse also im Film eine eigene mediale Transformation finden. Deshalb sei die Frage nach Werktreue in Bezug auf die Vorlage unangemessen, denn der Film könne anderes und müsse anderes leisten. Dies sei in der Verfilmung der Currywurst (Ulla Wagner 2008) eindrucksvoll gelungen. Die mediale Konversion sollte deshalb im Mittelpunkt einer Analyse im Deutschunterricht stehen: Der Film ist ein Film und nicht ein Film nach … .
Fazit: Das „Erzählen“ ist ein Kerngeschäft des Deutschunterrichts. Filme, also bildnarrative Darstellungen, sind ein wesentliches Element der kulturellen Sozialisation von Jugendlichen, die mit dem nötigen analytischen Rüstzeug ausgestattet werden sollten. Zum anderen handelt es sich bei Literaturverfilmungen um die Verarbeitung eines Printtextes in einem anderen Medium, das die Vorlage mit seinen eigenen medienspezifischen Mitteln neu erzählt. Der Unterricht hat also die Aufgabe, literarisches und medienästhetisches Lernen im Zusammenhang zu vermitteln.
Lese- und Medienliste zum Vortrag „Road Trips, Großstadtdschungel, Pampa – Aktuelle Jugendromane filmisch ins Bild gesetzt“, zusammengestellt von Anna Stemmann M.A./M.Ed. (Goethe-Universität Frankfurt am Main):
1 a) Diskutierte Filme
- Pampa Blues. Regie: Kai Wessel. 2015. DVD.
- Tigermilch. Regie: Ute Wieland. 2017. DVD.
- Tschick. Regie: Fatih Akin. 2016. DVD.
1 b) Ergänzende Filme
- Die Mitte der Welt. Regie: Jakob M. Erwa. 2016. DVD.
- Es war einmal Indianerland. Regie: Ilker Catak. 2017. DVD.
- Scherbenpark. Regie: Bettina Blümmer. 2013. DVD.
2 Sekundärliteratur
- Beil, Benjamin, Kühnel, Jürgen, Neuhaus, Christian: Studienhandbuch Filmanalyse. Ästhetik und Dramaturgie des Spielfilms. 2. aktualisierte Auflage. Paderborn: Wilhelm Fink 2016 (= UTB 8499).
- Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. 3. aktualisierte Auflage. Paderborn: Wilhelm Fink 2013 (= UTB 2341).
- Mahne, Nicole: Transmediale Erzähltheorie. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007 (= UTB 2913).
- Rajewski, Irina O.: Intermedialität. Tübingen: A. Francke 2002 (= UTB 2261).
- Staiger, Michael: Literaturverfilmungen im Deutschunterricht. München: Oldenbourg 2010.
- Weinkauff, Gina, Dettmar, Ute, Möbius, Thomas, Tomkowiak, Ingrid (Hrsg.): Kinder und Jugendliteratur in Medienkontexten. Adaption – Hybridisierung – Intermedialität – Konvergenz. Frankfurt am Main: Peter Lang 2014.