In der Ausschreibung zur Tagung hieß es programmatisch, dass die Hauptaufgabe der Integration uns noch bevorsteht. Gleichzeitig stellten die Schulen schon immer eine der bedeutendsten Integrationsfaktoren der Gesellschaft dar. Lesen Sie zum Thema und zur Krise der Debattenkultur den ausführlichen Tagungsbericht von Dorothea Schreiner.
Verzahnung von Wissenschaft und Praxis, Austausch mit Kollegen verschiedener Schularten, Neues erfahren, Fragen stellen, Antworten finden – Fortbildungen des Fachverbands Deutsch lohnen sich immer. Seien auch Sie nächstes Jahr dabei!
Tagungsbericht
Berücksichtigung der aktuellen Anforderungen an den Deutschunterricht, interessante Inhalte, praxiserprobte Unterrichtskonzepte, anregender Austausch mit Kollegen, hilfreiche Materialien. All das erwarten sich Lehrer von einer Fortbildung. Und das bieten die Fortbildungen des Landesverbandes Deutsch Baden-Württemberg. Ganz in diesem Sinne lautete das Thema der Jahrestagung 2016 „Interkulturalität. Herausforderungen für die Sprach- und Literaturvermittlung im Deutschunterricht“.
Die zahlreichen neu eingerichteten Klassen für Flüchtlinge stellen eine Herausforderung dar, aber auch eine Chance: Der Erwerb der deutschen Sprache steht am Anfang der Integration und der Ort Schule leistet dabei noch viel mehr als nur die Vermittlung von Fähigkeiten und Wissen. (Vgl. dazu die Stellungnahme des DGV und des SDD: „Aus Flüchtlingen werden Mitbürgerinnen und Mitbürger“) Nicht jede Schule hat eine Flüchtlingsklasse eingerichtet, aber an jeder Schule, in jeder Schulart werden die Klassen immer inhomogener, unter anderem auf Grund des steigenden Anteils der Schüler mit Migrationshintergrund. Vor diesem Hintergrund beleuchtete die Tagung in sechs Vorträgen mit anschließender Aussprache das Thema Interkulturalität aus verschiedenen Perspektiven. Veranstaltungsort waren die BIL-Schulen in Stuttgart, die die Teilnehmer auf einem Rundgang vor Beginn der Tagung kennenlernen konnten. Die BIL-Schulen stellten ihre hervorragend ausgestatteten Räume zur Verfügung und sorgten auch für das leibliche Wohl.
Sechs Vorträge, sechs Blickwinkel auf die Themen Interkulturalität und Heterogenität. Sechs Vorträge, die sich mit verschiedenen Lernorten, Lerngruppen und inhaltlichen Schwerpunkten auseinandersetzten. Von der Schule über die Flüchtlingsunterkunft bis zum Museum. Von den ersten deutschen Wörtern über Identitätsprobleme von Schülern mit Migrationshintergrund bis zur Aufarbeitung historischer Perspektiven.
Prof. Dr. Nazil Hodaie von der Hochschule Schwäbisch-Gmünd setzte sich in ihrem Vortrag „Deutschunterricht im Zeichen der Heterogenität“ mit der Frage auseinander, wie Sprach- und Literaturvermittlung unter Bedingungen der interkulturellen Kommunikation gelingen kann. Nazal Hodaie sprach in diesem Zusammenhang über Einflussfaktoren auf den Unterricht und Anforderungen an denselbigen. Hohe Erwartungen der Lehrenden an die Schüler verbunden mit der Bereitschaft zu helfen, sei der wichtigste Erfolgsfaktor, wie Untersuchungen ergaben. Unterrichtsmitschnitte und der Einbezug von Literatur von Schriftstellern mit Migrationshintergrund veranschaulichten die Thesen des Vortrages.
Hakan Turans (Lehrer am Fanny Leicht Gymnasium und tätig in der Lehrerausbildung am Seminar Stuttgart) Beitrag „Interkulturelle Kommunikation am Beispiel des Umgangs mit muslimischen Schülern“ führte den Begriff Transkulturalität ein und zeigte die Problematik kulturalisierender Erklärungsmuster auf. Dieser Ansatz ignoriere, dass Kulturen inhomogen und veränderlich seien und dass türkische Schüler häufig eine gemischte kulturelle und damit oft gebrochene Identität hätten, was wiederum zu Kompensationsstrukturen führe. Auf diese These aufbauend plädierte Hakan Turan für einen inklusiven Kommunikationsmodus und verdeutlichte diesen an Beispielen aus dem Schulalltag.
Gamze Ince (Referendarin an den BIL-Schulen) stellte eine „Unterrichtseinheit zu Bildbeschreibung und Präpositionsgebrauch“ vor. Sie hatte in ihrem Unterricht festgestellt, dass es zu Missverständnissen kam, weil Schüler mit Migrationshintergrund Präpositionen oft falsch verwenden oder weglassen, da es im Türkischen und Deutschen unterschiedliche Raumkonzepte gibt.
Harald Ritter (apricon-media, Bensheim) stellte seinen Sprachworkshop für Asylbewerber vor, der in einigen LEAs verwendet wird und dessen Ziel es ist, einen sofortigen Nutzwert zu generieren. So sei Kommunikation schnell möglich, was die Motivation erhöhe, und auch kulturelles Lernen werde eingebunden, was die Integration fördere.
Karl Landherr (Rektor a.D. Grundschule Thannhausen) präsentierte das überaus erfolgreiche Thannhauser Modell, das inzwischen im Auer-Verlag erscheint. Diese Materialien ermöglichen es Ehrenamtlichen auch ohne Lehrerausbildung zu unterrichten und den Flüchtlingen in kurzer Zeit Sprachkenntnisse und Alltagswissen zu vermitteln. Dieser Vortrag zeigte sehr eindrucksvoll, wie wichtig Begeisterung, Optimismus und Eigeninitiative, aber auch Gelassenheit in herausfordernden Situationen sind.
Den Abschluss bildete der Beitrag von Dr. Christiane Dätsch (Institut für Kulturmanagement an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg). Sie stellte die Entstehungsgeschichte der Ausstellung „Weltkultur“ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe vor. Die Ausstellung zeigt, wie Museen in der Vergangenheit gearbeitet haben, was als überlieferungswürdig, als Teil des kulturellen Erbes galt und was nicht. Zum Beispiel taucht in der Karlsruher Ausstellung zur Alltagskultur nach 1945 das Thema Migration („Gastarbeiter“) nicht auf. Sammlungen erzählen und vermitteln Geschichte, sind kollektives Gedächtnis. Deshalb ist die Neubefragung von Sammlungsobjekten sinnvoll. So ist die Ausstellung zur Weltkultur ein Bekenntnis zu einer transkulturellen Weltsicht.
Und so schloss sich der Kreis am Ende der Fachtagung: ein neuer Blick auf unsere Vorstellungen von Kultur, Integration, Identitätsbildung, Sprachvermittlung. Herausforderung und Chance.
Collage der Lebrecht-Schule