Der Großkomplex „Zeit“ war das Thema des 26. Deutschen Germanistentages, der vom 22. bis 25. September 2019 an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken stattfand. Zu den zahlreichen ergiebigen Anknüpfungspunkten, welche dieses Thema bietet, gehört insbesondere das Verhältnis von Zeit und Traum: Einen Blick in das verlorene Paradies werfen, den eigenen Tod erleben – nirgends scheint die Relativität von Zeit und Raum greifbarer zu sein als im Traum. Diese Überlegungen waren der Ausgangspunkt eines Panels, das vom DFG-Graduiertenkolleg „Europäische Traumkulturen“ organisiert wurde und aus dem nun ein Sammelband hervorgegangen ist. Zeiterfahrungen im Traum. Was war, was ist, was sein wird, herausgegeben von Laura Vordermayer und Christian Quintes, erscheint im Frühjahr 2021 beim Fink-Verlag.
Gemeinsames Oberthema des Graduiertenkollegs, das 2015 seine Arbeit aufgenommen hat und das von der DFG bis März 2024 weitergefördert wird, ist der Traum als Kulturphänomen. Träume wurden in der Kulturgeschichte immer wieder als „anderer“ Erfahrungsmodus begriffen, in dem die Logik des Wachzustands zum Teil aufgehoben ist. Gerade diese Diskrepanz begründet eine bis in die Antike zurückreichende Faszination für den Traum, der im Kontext unterschiedlicher Deutungssysteme als Zugang zu neuen Erkenntnissen und verborgenen Wahrheiten gilt. Das trifft auch auf einen der zentralen Parameter menschlicher Wahrnehmung zu: die Zeit.
Der Band befasst sich mit der Wahrnehmung von Zeit im Traum und beleuchtet dieses Phänomen aus literatur- und kulturwissenschaftlicher, philosophischer und psychologischer Perspektive. Welches Potenzial bieten der Traum und eine onirische Zeitwahrnehmung zur Darstellung historischer Ereignisse in literarischen Texten? Die Beiträge beleuchten verschiedene Aspekte der Thematik in einem Rahmen vom 10. Jahrhundert bis heute. Dabei werden unter anderen Autor*innen wie Thietmar von Merseburg, Shakespeare, Novalis, Anette von Droste-Hülshoff, Paul Verlaine, Anna Seghers und Ingeborg Bachmann sowie bekannte Texte wie das Nibelungenlied, Maler Nolten und Traum und Existenz in den Fokus genommen. Abgerundet wird der Band durch einen Blick auf die empirisch-psychologischen Forschung zur Zeit im Traum.