Ta­gungs­be­richt von OStR Win­fried Adam

Schu­li­scher Li­te­ra­tur­un­ter­richt wird in der öf­fent­li­chen Debatte fast aus­schließ­lich unter dem Signum der Krise oder des Be­deu­tungs­ver­lusts wahr­ge­nom­men. Die Fort­bil­dungs­ta­gung, die der Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband (Lan­des­ver­band Bayern) in Zu­sam­men­ar­beit mit der For­schungs­stel­le für Wer­te­er­zie­hung und Leh­rer­bil­dung an der LMU München or­ga­ni­sier­te, ver­such­te diesen Ne­ga­tiv­zu­schrei­bun­gen den positiv er­mu­ti­gen­den Ansatz eines Li­te­ra­tur­un­ter­richts ge­gen­über­zu­stel­len, der sich neuen (Vermittlungs-)Formaten nicht ver­wei­gert, aber gleich­wohl an­strebt, li­te­ra­ri­schen Texten in ihren kom­ple­xen in­halt­li­chen, äs­the­ti­schen und ethi­schen Di­men­sio­nen gerecht zu werden.

Dieses Vor­ha­ben ent­sprach of­fen­sicht­lich den An­lie­gen vieler Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen – über 130 Deutsch­lehr­kräf­te ver­schie­de­ner Schul­ar­ten aus dem ge­sam­ten süd­baye­ri­schen Raum nahmen an der Tagung teil.

In einer kurzen Ein­füh­rung ak­zen­tu­ier­te Prof. Dr. Sabine Anselm die Ziel­rich­tung der Fort­bil­dung, li­te­ra­ri­sche Texte als po­si­ti­ve und her­aus­for­dern­de Zu­mu­tung für die Schü­le­rin­nen und Schüler zu be­grei­fen, welche die Be­hand­lung existenziell-philosophischer Fragen er­mög­li­chen, denen an­sons­ten im schu­li­schen Fä­cher­ka­non wenig Raum gegeben wird.

Als Im­puls­re­fe­rent der Ver­an­stal­tung konnte mit Michael Sommer eine in­zwi­schen eta­blier­te Größe im Feld der me­dia­len Li­te­ra­tur­ver­mitt­lung ge­won­nen werden: Die You-Tube-Videos „Sommers Welt­li­te­ra­tur to go“ des Dra­ma­tur­gen und Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­lers, in denen er mit Hilfe von Playmobil-Figuren Zu­sam­men­fas­sun­gen von li­te­ra­ri­schen Texten er­stellt, er­freu­en sich großer Be­liebt­heit und wurden bereits mehr­fach aus­ge­zeich­net. Sommer gab zu­nächst einen Ein­blick in die Re­zep­ti­on seiner Videos, die im Ober­stu­fen­kon­text und wohl auch bei Stu­die­ren­den einen we­sent­li­chen Be­stand­teil der Be­geg­nung mit Li­te­ra­tur aus­ma­chen. Die Zuhörer bekamen im Fol­gen­den einen in­ter­es­san­ten Ein­blick in die Pro­duk­ti­ons­werk­statt von Sommers Videos, indem er die Kon­zep­ti­on seiner Dreh­bü­cher, Ku­lis­sen und Figuren er­läu­ter­te. Grund­sätz­li­cher wurde Michael Sommer im letzten Teil seiner Aus­füh­run­gen, in denen er aus­ge­hend von den Über­le­gun­gen des nie­der­län­di­schen Kul­tur­his­to­ri­kers Johan Hui­zin­ga die Be­deu­tung des Spiels für die mensch­li­che Kultur betonte. Denn Sommer sieht seine Videos als eine Form des Spie­lens mit Li­te­ra­tur, das Frei­räu­me und Freude in der Be­schäf­ti­gung mit Li­te­ra­tur er­mög­li­chen soll und sich Nütz­lich­keits­er­wä­gun­gen weit­ge­hend ent­zieht; er plä­dier­te ab­schlie­ßend dafür, den spie­le­ri­schen Aspekt bei der Be­schäf­ti­gung mit Li­te­ra­tur we­sent­lich stärker ins Blick­feld zu nehmen und Raum für äs­the­ti­sche Bildung zu ermöglichen.

Den le­ben­di­gen Aus­füh­run­gen von Michael Sommer schloss sich eine kurze Ge­sprächs­run­de von Ver­tre­tern und Ver­tre­te­rin­nen aus Schule, Fach­di­dak­tik, Fach­wis­sen­schaft und In­sti­tu­tio­nen der Leh­rer­bil­dung an, die den Umgang mit Sommers Projekt in ihrem je­wei­li­gen Umfeld dis­ku­tier­ten. Dabei zeigte sich ein Span­nungs­feld zwi­schen (ver­meint­li­chen) cur­ri­cu­la­ren Vor­ga­ben ei­ner­seits und den nahezu un­be­grenz­ten Po­ten­zia­len eines spie­le­ri­schen Zugangs zu li­te­ra­ri­schen Texten aus Ver­gan­gen­heit und Ge­gen­wart anderseits.

Der zweite Teil der Tagung gehörte drei Work­shops, in denen ver­sucht wurde, die grund­sätz­li­chen Impulse des ersten Teils für den schu­li­schen Kontext aus­zu­buch­sta­bie­ren.

StD Chris­ti­an Rühle vom Gym­na­si­um Weil­heim zeigte in seinem Work­shop „In­halts­an­ga­be to go“, wie das Er­stel­len von In­halts­an­ga­ben zu Kurz­ge­schich­ten der Autorin Zsuzsa Bank im „Som­mer­schen Modus“ in einer 9. Klasse rea­li­siert werden konnte. Zu­gleich er­läu­ter­te er eine Reihe von Mög­lich­kei­ten der di­gi­ta­len Trans­for­ma­ti­on von li­te­ra­ri­schen Texten.

Welche Mög­lich­kei­ten der Dif­fe­ren­zie­rung und In­di­vi­dua­li­sie­rung im Li­te­ra­tur­un­ter­richt be­stehen, stellte die Deutsch­di­dak­ti­ke­rin Anna Wazcek von der Uni­ver­si­tät Eich­stätt in ihrem Work­shop „Jen­seits der Klas­sen­lek­tü­re“ vor. Dabei wurde vor allem die Durch­füh­rung und Kon­zep­ti­on von Lek­tü­re­pro­jek­ten the­ma­ti­siert, die unter einem be­stimm­ten Rah­men­the­ma die Be­schäf­ti­gung mit ver­schie­de­nen li­te­ra­ri­schen Texten in einer Mit­tel­stu­fen­klas­se ermöglichen.

Das aus dem Fern­se­hen be­kann­te Format „Li­te­ra­ri­sches Quar­tett“ war Ge­gen­stand des dritten Work­shops von StR Hagen Dessau vom Karolinen-Gymnasium Ro­sen­heim. Kon­zep­ti­on, Durch­füh­rung und Eva­lua­ti­on eines li­te­ra­ri­schen Quar­tetts in der Ober­stu­fe des Gym­na­si­ums, das sich mit ge­gen­warts­li­te­ra­ri­schen Texten be­fass­te, bil­de­ten den Schwer­punkt des Workshops.

Ab­ge­run­det wurde die Fort­bil­dung mittels einer gut be­such­ten Fishbowl-Diskussion, in der alle Teil­neh­mer ein­ge­la­den waren, noch­mals die ver­schie­de­nen An­re­gun­gen des Tages für sich zu re­flek­tie­ren bzw. zu per­spek­ti­vie­ren. Hierbei zeigte sich, dass viele Kol­le­gen und Kol­le­gin­nen die Tagung als Er­mu­ti­gung und Mo­ti­va­ti­ons­schub emp­fan­den, neue Wege bei der Ver­mitt­lung von Li­te­ra­tur zu be­schrei­ten und damit zu­gleich den Stel­len­wert der Li­te­ra­tur im Rahmen des Deutsch­un­ter­richts zu be­haup­ten. „Li­te­ra­tur­un­ter­richt soll als po­si­ti­ve Zu­mu­tung für das gesamte Schul­sys­tem gesehen werden“ – dieses State­ment eines Teil­neh­mers brachte das Kern­an­lie­gen der ge­lun­ge­nen Ver­an­stal­tung vom 19. Februar 2019 präzise auf den Punkt.